Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.04.2024, Az. 5 StR 21/24

5. Strafsenat | REWIS RS 2024, 2569

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Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Mai 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und Besitz von Munition sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 166.000 Euro angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.

2

Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.], weil die Überprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Über die in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründe hinaus bedarf nur Folgendes der Erörterung:

3

1. Die Beweiswürdigung der [X.] im Fall 2 der Urteilsgründe (Raubüberfall auf zwei Geldboten in einer Einkaufspassage) erweist sich als rechtsfehlerfrei.

4

Sie hat ihre Überzeugung von der Tatbeteiligung des Angeklagten maßgeblich auf ihre eigenen Wahrnehmungen bei der Augenscheinseinnahme der Videoaufnahmen des Tatgeschehens und der von der Polizei gefertigten Vergleichsaufnahmen von „[X.]“ des Angeklagten sowie verschiedener Lichtbilder gestützt. Dabei hat sie die Überzeugung gewonnen, dass der auf den Bildern des Tatgeschehens zu beobachtende auffällig wippende Gang des [X.] mit der [X.] mit demjenigen des Angeklagten übereinstimmt, wie er bei den [X.] aufgezeichnet wurde. Die Lichtbilder bestanden zum Teil aus [X.] des [X.], auf denen ein sichtbarer Teil des Gesichts des nämlichen [X.] eine markante, langgezogene und kantig hervorstehende Kinnpartie erkennen lässt, die mit derjenigen des Angeklagten übereinstimmt, wovon sich die [X.] in der nahezu zehn Monate andauernden Hauptverhandlung ein Bild machen konnte. Die Überzeugungsbildung beruht damit maßgeblich auf einer eigenständigen Identifizierung des Angeklagten durch das [X.] auf der Grundlage von Videoaufnahmen und Lichtbildern; die Beschreibung dieser Augenscheinsobjekte und der die Identifizierung ermöglichenden charakteristischen Merkmale in den Urteilsgründen genügt entgegen der Auffassung der Revision den insoweit zu stellenden Anforderungen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Juni 1979 – 4 [X.], [X.]St 29, 18, 21 f.; vom 7. Februar 2018 – 4 [X.], NStZ-RR 2018, 120, 121; LR/[X.], [X.], 27. Aufl., § 261 Rn. 180 mwN). Dass die morphologische Sachverständige die Videoaufnahmen als für ein morphologisches Vergleichsgutachten ungeeignet qualifiziert hat, steht dem nicht entgegen, denn die Ungeeignetheit des Videomaterials bezieht sich auf die Analyse einzelner morphologischer Merkmale und nicht auf den Gesamteindruck, der nach den [X.] Ausführungen der [X.] gleichwohl aus den Aufnahmen gewonnen werden kann.

5

Die Überzeugung der [X.] wird gestützt durch weitere Beweismittel, namentlich durch die Bekundungen von drei Polizeibeamten, die den Angeklagten unabhängig voneinander aufgrund der gleichen Merkmale (wippender Gang, markante Kinnpartie) auf den Videoaufnahmen des Tatgeschehens ebenfalls als den Täter mit der [X.] wiedererkannt haben, durch den zeugenschaftlich und durch Inaugenscheinnahme belegten Umstand, dass der Angeklagte anlässlich einer erkennungsdienstlichen Maßnahme wegen einer anderen Straftat zehn Tage vor der verfahrensgegenständlichen Tat Hose und Schuhe trug, die mit den ausweislich der Videoaufnahmen von dem Täter mit der [X.] getragenen übereinstimmten, sowie durch die Reaktionen einer Zeugin des Tatgeschehens im Fall 1 der Urteilsgründe, der das Video zum Tatgeschehen im Fall 2 der Urteilsgründe vorgespielt wurde und die aufgrund des Wiedererkennens des markanten Laufstils des [X.] emotional betroffen war. Schließlich hat die [X.] eine weitere Stütze ihrer Annahme, der Angeklagte sei einer der Täter des Raubüberfalls darin gefunden, dass an dem Bauzaun, den die Täter auf ihrer Flucht überkletterten, ein Stofffetzen gefunden wurde, auf dem sich eine – rechtsfehlerfrei dargestellte – [X.] mit dem DNA-Muster des Angeklagten befand.

6

Auf die [X.] einer weiteren Polizeibeamtin, bei der es sich nach deren in den Urteilsgründen mitgeteilten Selbstbeschreibung um „eine wissenschaftlich identifizierte [X.]“ handelt, deren „Status auf ihrer besonderen, letztlich nicht rational erklärbaren, aber in zahlreichen Testverfahren festgestellten und überprüften Fähigkeit beruhe, Menschen wiederzuerkennen“, hat sich die [X.] entgegen der Auffassung der Revision nicht gestützt. Vielmehr hat das [X.] – in auch sprachlicher Abgrenzung von den zur Bestätigung herangezogenen Beweismitteln – lediglich mitgeteilt, dass die Bekundungen der Zeugin mit der von ihm auf der Beweislage im Übrigen gegründeten Überzeugung „im Einklang“ stünden. Dies entzieht auch den – zulässig erhobenen – Verfahrensrügen die Grundlage, mit denen die Revision bei der Ablehnung von Anträgen zum Umgang mit den Angaben der „[X.]“ Verstöße gegen das Beweisantragsrecht geltend gemacht hat.

7

2. Die Einschaltung der „[X.]“ durch die Polizei und ihre Vernehmung als Zeugin gibt dem Senat allerdings Anlass zu folgenden Hinweisen:

8

Angesichts der wissenschaftlich nicht abschließend geklärten Qualifikation von „[X.]“ (vgl. etwa Vomland/Thielgen/Schade, Kriminalistik 2022, 165; Artkämper/Weise, [X.], 340, 347; kritisch [X.], [X.] 2023, 6, Heft 12) dürfte hinsichtlich des [X.] von Identifizierungen oder Wiederkennungsleistungen solcher Zeugen davon auszugehen sein, dass insoweit keine anderen Maßstäbe gelten, als bei anderen Zeugen (vgl. auch [X.]/Grasnick, Kriminalistik 2019, 369, 374: Die vom „[X.]“ geleistete Identifizierung hat allein noch keinen Beweiswert, kann aber wichtige Hinweise für neue Ermittlungsansätze geben). Das muss jedenfalls gelten, solange ein höherer Beweiswert wissenschaftlich nicht begründet ist; solches wäre gegebenenfalls vom Tatgericht – naheliegend mit sachverständiger Unterstützung – aufzuklären und im Urteil in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Art und Weise darzulegen. Der von der Zeugin für sich in Anspruch genommene Status einer „wissenschaftlich identifizierten [X.]“ genügt dafür erkennbar nicht.

9

Soweit die [X.] in der Ablehnung eines Beweisantrags ausgeführt hat, Nr. 18 [X.] sei auf „[X.]“ nicht anzuwenden, weil diese keine Tatzeugen seien, erscheint dies schon deshalb zweifelhaft, weil die Vorschrift nicht von „Tatzeugen“, sondern allgemein von „Zeugen“ spricht. Zudem erschließt sich nicht ohne Weiteres, warum die Gefahr, der durch Nr. 18 [X.] begegnet werden soll, dass der Zeuge sich fälschlicherweise auf einen Tatverdächtigen festlegt, wenn ihm nicht auch unverdächtige Personen präsentiert werden, bei „[X.]“ nicht bestehen soll.

[X.]     

      

[X.]     

      

Köhler

      

Resch     

      

von Häfen     

      

Meta

5 StR 21/24

24.04.2024

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 26. Mai 2023, Az: 532 Ks 2/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.04.2024, Az. 5 StR 21/24 (REWIS RS 2024, 2569)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2569

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4 StR 376/17

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